F. W. Freiherr von Bissings wurde am 22. April 1873 in Potsdam [1] als ältester Sohn des Kavallerieoffiziers und Flügeladjutanten des späteren Kaisers Wilhelm II., Generaloberst Moritz Ferdinand von Bissing (1844–1917) [2] und Myrrha Wesendonck (1851–1888), Tochter der Dichterin Mathilde Wesendonck (1828–1902) – der Muse Richard Wagners [3] – wuchs der junge F.v.B. in einem strengen, dem klassischen Bildungsideal verpflichteten Umfeld auf.
Noch als Jugendlicher wurde eine Reise nach Ägypten für ihn prägend, auf der er an Bord eines Schiffes Gaston Maspero (1846–1916) kennenlernte.[4] Wenngleich der Privatunterricht Dr. Wilhelm Schrameiers (1859–1926) [5] von F.v.B. selbst [6] und nach diesem im Nachruf Babingers erwähnt ist (1956:192), sei hier ergänzt, daß F.v.B. später seine „Festrede zur Feier der Reichsgründung und des Geburtstags Kaiser Wilhelms II, gehalten in München am 27. Januar, 1915 [7] mit dem Titel Deutschlands Stelle in der Welt „Meinem einstigen Lehrer Dr. Wilhelm Schrameier, Kaiserl. Geh. Admiralitätsrat“ widmete.[8] F.v.B. und Schrameier blieben über die Jahre in Kontakt; letzterer zitierte einen Brief des Ägyptologen in seinem Buch Auswärtiges Amt und Auslandsvertretung. Vorschläge zur Reform.[9] 1891 legte F.v.B, durch den humanistischen Privatunterricht Schrameiers bestens vorbereitet, sein „Reife-Examen“ am Königlich Joachimsthalschen Gymnasium ab.
F.v.B.’s weiterer beruflicher Lebensweg ist in groben Zügen folgender:
1892–1894 Studium der klassischen Philologie, klassischen Archäologie, Ägyptologie und Kunstgeschichte in Bonn;
1895 Studienaufenthalt in Berlin;
1896 Promotion bei Alfred Wiedemann (1856–1936) in Bonn.[10] Dann folgten: Verlegung des Wohnsitzes nach Kairo; Mitarbeit am Catalogue Générale; Mitglied im Comité d’Archéologie; Finanzierung von und Teilnahme an der Ausgrabung in Abu Gurob 1898 bis 1901;
1900 Habilitationsvorhaben in München auf Anregung des Klassischen Archäologen Adolf Furtwängler (1853–1907) sowie des Byzantinisten Karl Krumbacher (1856–1909);[11]
1902 Habilitation zum Thema Der Bericht des Diodor über die Pyramiden;[12]
1906 Ordentlicher Professor in München – noch immer beeindruckend ist das Abhalten von Veranstaltungen im Privatwohnhaus, dem Palais Bissing in der Münchener Georgenstraße 10–12,[13] mit eigenem Hörsaal und Sammlung, erbaut 1903 nach den Plänen des Schweizer Archäologen und Architekten Ernst Robert Fiechter (1875–1848) – dies mag neben der Loyalität zur Münchener Universität ein weiterer Grund für die Ablehnung eines Rufes nach Wien im Jahre 1906 gewesen sein); Mitglied der Wörterbuchkommission;[14]
seit 1916 Ordentliches Mitglied in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und anderer Institutionen, von 1922 bis 1926 Professur in Utrecht; dazwischen Gastvorlesungen in Budapest auf Vermittlung des Furtwängler-Schülers Anton (Antal) Hekler (1882–1940);[15]
1926 Rückzug aus der universitären Ägyptologie als Privatgelehrter auf seinen 1905 bezogenen Landsitz, den Agger Bichl, und Fortsetzung seiner immensen Publikationstätigkeit bis zu seinem Tod am 12. Januar 1956. F.v.B., Ehrendoktor der Universität Riga, war seit 1904 mit Elisabeth (Elsa) Freifrau von Carlowitz (1875–1961) verheiratet; dieser Ehe entstammt Tochter Myrrha, die spätere Freifrau von Redwitz bzw. Freifrau von Aretin (1908–2002).[16]
Quellenangaben:
[1] Lebenslauf F.v.B. vom 20. Juni 1901 UAM, EII-908. Beckh, „Das Institut für Ägyptologie der LMU im Nationalsozialismus“: 249 f. mit Anm. 2.
[2] Wende, Die belgische Frage in der deutschen Politik des Ersten Weltkrieges: 33–39; Thiel, »Menschenbassin Belgien«: 37–40 und Willich, „von Bissing, Moritz Ferdinand Frhr. v.“; vgl. auch Oszwald, „Nachruf auf Moritz Freiherr von Bissing“ (unter Verwendung seines jedoch heute nicht mehr erhaltenen Nachlasses); eine Biographie zu Moritz von Bissing ist noch nicht geschrieben.
[3] Richard Wagner vertonte 1857/58 Fünf Gedichte für Frauenstimme und Klavier von Mathilde Wesendonck, die als sog. Wesendonck-Lieder bekannt geworden sind; vgl. auch Schad, ‘Meine erste und einzige Liebe’ Richard Wagner und Mathilde Wesendonck, Aufenanger, Richard Wagner und Mathilde Wesendonck sowie Langer und Walton, Minne, Muse und Mäzen. Otto und Mathilde Wesendonck und ihr Zürcher Künstlerzirkel.
[4] von Bissing, Mathilde Wesendonck; von Bissing, „Erinnerungen an Gaston Maspero“; Grimm, Friedrich Wilhelm Frei¬herr von Bissing: 24–28.
[5] Schrameier studierte in Leipzig Philosophie sowie orientalische (Arabisch, Hebräisch, Syrisch, Äthiopisch, Assyrisch) und indogermanische Sprachen (Sanskrit, Persisch) und zudem Ägyptisch und Türkisch. Er wurde 1881 in Leipzig mit dem Thema Ueber den Fatalismus der vorislamischen Araber promoviert (Leipziger Promotionsschrift, Bonn: Georgi, 1881). Anschließend kehrte er nach Bonn zurück, wo er Evangelische Theologie studierte und im April 1882 das 1. Theologische Staatsexamen ablegte. Schrameier wurde Hauslehrer der Familie Moritz von Bissings (vgl. Matzat, Neue Materialien zu den Aktivitäten des Chinesenkommissars Wilhelm Schrameier in Tsingtau: 67). In späteren Jahren arbeitete Schrameier für das Diplomatische Corps und das Reichsmarineamt in der ehemaligen deutschen Kolonie Qindao (Tsingtao).
[6] Ein frühes Zeugnis stellt F.v.B.’s erwähnte Selbstbiographie dar, die F.v.B. in Zils, Geistiges und künstlerisches München in Selbstbiographien: 401 ff. veröffentlicht hat. Diese Angabe fehlt in Bierbrier et al., Who was Who in Egyptology, wurde aber von Babinger, „Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing“ verwendet und jetzt noch einmal von Grimm, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing: 17–20 abgedruckt.
[7] von Bissing, Deutschlands Stelle in der Welt.
[8] Vgl. auch von Bissing, Deutschlands Stelle in der Welt: 2. Der Geheime Admiralitätsrat und Vizekonsul Dr. Schrameier war im Kaiserreich auch als sog. „Chinesenkommissar“ bekannt; vgl. Matzat, Die Tsingtauer Landordnung des Chinesenkommissars Wilhelm Schrameier: 3; Neue Materialien zu den Aktivitäten des Chinesenkommissars Wilhelm Schrameier in Tsingtau: 67 zu F.v.B.
[9] Matzat, Die Tsingtauer Landordnung des Chinesenkommissars Wilhelm Schrameier, 3.
[10] von Bissing, De tabula quam dicunt statistica Tuthmosis III commentatio / Die sogenannte statistische Tafel Tuthmosis III von Ägypten. Lullies und Schiering 1988: 106 f. (hier: Wolf-R. Megow) führen F.v.B. auch als Schüler des Bonner Klassischen Archälogen Georg Loeschke (1852–1915) an (hier S. 107); vgl. auch F.v.B. in Zils, Geistiges und künstlerisches München in Selbstbiographien: 402: „Bei Georg Loeschke ging ich in die archäologische Lehre“ und: der Klassische Philologe und Religionswissenschaftler Hermann Usener (1834–1905) „hatte den jungen Fuchs mit warmem Herzen aufgenommen“. Wolfgang Schiering fügt in seinem Portrait von Carl Weickert (1885–1975) S. 230 hinzu, daß sich dieser „auch Friedrich Wilhelm v. Bissing als Schüler verpflichtet“ fühlte; eine Liste der Schüler F.v.B.’s und den von ihm betreuten Dissertationen steht noch aus. F.v.B. verfaßte später einen Nachruf auf seinen Lehrer Wiedemann (Wallert, „Friedrich Wilhelm von Bissing. Verzeichnis seiner Schriften (1895–1956)“: 13, Nr. 496). Im Nachlaß von Uvo Hölscher (1873–1963) befand sich eine jetzt von Johannes Saltzwedel edierte Vorlesungsmitschrift aus einem Seminar des Bonner Gräzisten Hermann Diels (1848–1922) über „Griechische Philosophie“ aus dem Wintersemester 1897/98, als deren Verfasser sich überraschend F.v.B. erwiesen hat (Diels, Griechische Philosophie).
[11] F.v.B. in Zils, Geistiges und künstlerisches München in Selbstbiographien: 402; Babinger, „Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing“: 195. F.v.B. widmete seine Geschichte der Ägyptischen Kunst von den ältesten Zeiten bis auf die Römer (Berlin: Gaue, 1908) „Dem Andenken Adolf Furtwänglers, des Meisters der Forschung auch auf dem Gebiet der altorientalischen Kunst.“
[12] Beckh, „Das Institut für Ägyptologie der LMU im Nationalsozialismus“: 250 mit Anm. 6 (UAM, EII-908); Wallert, „Friedrich Wilhelm von Bissings Verzeichnis seiner Schriften (1895–1956)“: 2 Nr. 27.
[13] Grimm, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing: 70 Anm. 18 mit Details und Abb. 13 f., S. 90 f.; ob man die Atmosphäre im Palais Bissing noch 1956 so schildern mußte, wie es Babinger, „Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing“: 197 getan hat, sei dahingestellt: „[…] Aussprachen, die sich nach den Übungen bei leckerem, von livriertem Gesinde aufgetragenen Mahl fortzusetzen pflegten […].“
[14] Die Kommission zur Herausgabe des Altägyptischen Wörterbuches wurde durch die vier Akademien des Reiches gebildet, die jeweils einen Vertreter entsandten: Erman für Berlin; Steindorff für Leipzig; Ebers für München und Richard Pietschmann (1851–1923) für Göttingen. Die Mitglieder der Kommission wählten Erman zu ihrem Vorsitzenden und Geschäftsführer und gaben sich selbst eine Satzung. Später ist die Kommission zu einem reinen „Ehrenausschuß“ geworden; die tatsächliche Leitung lag bei der Preußischen Akademie, bzw. bei Erman. Vgl. Erman und Grapow, Das Wörterbuch der ägyptischen Sprache. Zur Geschichte eines großen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie, 26–28.
[15] Babinger, „Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing“: 198; vgl. zu Hekler den Nachruf von Gerhart Rodenwaldt, Gnomon 16 (1940) 287.
[16] Zils, Geistiges und künstlerisches München in Selbstbiographien: 402; vgl. auch Grimm, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing: 19 und Abb. S.